zwischendurch dieses unbeschreibliche glück, geschwister zu haben, als freundinnen, als rückhalt und spiegel, als gedankenaufwerferinnen, als immer noch verbündete, auch wenn sich das jetzt nicht mehr gegen die eltern, die verwandten, die ungerechten lehrer richtet, sondern es schlicht ums bestehen geht, ums durchhalten, ums durchsetzen des kleinen sturen eigenen wegs.

"die träne ist ein atavismus, ein tribut der zukunft an die vergangenheit. oder sie ist das resultat einer substraktion des größeren vom geringeren: der schönheit vom menschen. dasselbe gilt für die liebe, denn auch die liebe ist größer als man selbst."

joseph brodsky: ufer der verlorenen.

es tröstet natürlich keine sekunde über das abermalige und im vergleich zum vorigen mal weitaus erbärmlichere scheitern an diesem arbeitsplatz hinweg, aber so ein bisschen heimweh ist zwischen dem ganzen murren und ärgern doch zumindest eine kleine abwechslung und das tauchte auf, als kurz zurvor aus dem selbstmitleidigen murmeln das please release me aufgetaucht ist und sich so lange in mein ohr eingepflanzt hat, bis die bilder wieder farbe angenommen haben von dem seltsamen ausflug in eine seltsame westernstadt wo der seltsame religionslehrer mit seiner countryband countrysongs spielte und irgendwann dann die dicke belgierin, die sich im urlaub in den größten bauernschädel unter den bauernschädeln verliebt hatte und erst als frau des bauernschädels dick geworden war, als dicke belgierin mit schwerem französischen akzent und mickymousestimme please release me intonierte und niemand außer meiner mutter und mir sie beklatschte.

hätte es nicht schon hundert ähnliche situationen gegeben, gegebenheiten, die jede für sich genommen zu maßloser wut führen sollten, wäre auch heute wieder ein ausnahmetag, einer, an dem ich mich verkriechen möchte und zumindest verarbeiten, was ich nicht begreifen kann, so aber ist das, was heute geschehen ist, nichts weiter als ein weiteres glied einer kette, die sich bestimmt fortsetzen wird, wenn auch die glieder immer weiter auseinanderliegen werden, irgendwann. ich würde mich also verkriechen und wahrscheinlich würde ich diese seltsame begebenheit zum anlass für ein klein wenig selbstmitleid nehmen, das an tagen wie diesem, der für so viele ein fenstertag vor einem feiertag ist, der mir nur ein weiterer arbeitstag sein wird, ohnehin grummelig im hintergrund und im untergrund vor sich hinmurmelt. so aber, ja, so aber ist es nur ein weiteres kopfschütteln, so aber ist es nur ein weiteres stöhnen, wie es mir auch bei kaffee mit zu heißer milch entkommen kann, und nichts, das mich blind für das paar machen könnte, das hand in hand über den schwedenplatz geht, wo alles hetzt, er links und sie rechts, und während ihre rechte hand das stanizel mit heißen maroni hält, versuchen die finger seiner linken hand, umständlich eine maroni zu schälen, um sie ihr ein paar schritte weiter in den mund zu schieben.

wie sehr die paar schritte beruhigen, das laub, das nicht raschelt, aber dem feuchten boden einen trockenen überzug gibt, das gelb und rot der buchen, und der kurze umweg in den weinberg, in die geordneten und noch lange nicht kahlen reihen. wie gut diese kalte, klare luft tut, das gehen durch diese luft, wie kalt die nasenspitze an dieser luft wird und wie wach das macht, das gehen, das atmen, das aufholen, wenn mir wieder alles davonzulaufen droht, wenn ich nicht mehr nachkomme mit dem arbeiten und mit dem denken und mit dem nachdenken, wenn ich nicht mehr mitkomme mit dem fühlen und einschätzen. kein tier gesehen, nein, nach keinem tier gesehen.

eine chance vertan und der vernünftige versuch, das nicht überzubewerten und das vernünftige eingeständnis, zumindest einen tag lang dennoch deswegen sauer auf mich sein zu müssen (vernünftiger: zu dürfen).